Mix aus Jodel und Techno

von Thomas Küng für 'Tages Anzeiger' 18. Mai 1994

 


Ungewöhnlich: Christine Lauterburgs neue CD

Zürich. - Vielleicht ein Meilenstein in der Geschichte der Schweizer Popmusik: Auf ihrer neuen CD «Echo der Zeit», die ab heute Mittwoch im Handel ist, verbindet Christine Lauterburg Volksmusik und Pop auf überzeugende Weise.
Ein eigenartiges Trio hat sich da zusammengetan: Die Berner und Schauspielerin Lauterburg arbeitete mit dem Folklorekenner Cyrill Schläpfer und mit dem Hip-Hop-Produzenten Pascal de Sapio. In einem langen Prozess des Tüftelns, Verwerfens, improvisierens, Verbesserns und Nachdenkens entstanden 19 Stücke, die nun auf der neuen CD zu hören sind. So ernsthaft war der Versuch Schweizer Folklore und aktuelle Popmusik zusammenzubringen, noch nie unternommen worden. Fünf Jahre brauchte das Trio, bis seine CD fertig war. Schneller war es einfach nicht möglich, wie Christine Lauterburg versichert: «Zuerst hatten wir nur vage Vorstellungen und konnten gar nicht sofort loslegen.» Schwierig war aber auch die Vermischung der zwei verschiedenen Musikstile. Lauterburg erklärt: «lm Jodel ist eine starke Sehnsucht und etwas zutiefst Archaisches. Mir war wichtig, dies in die Computerwelt hineinzubringen und dem Gefühl den nötigen Raum zu geben. » Die Idee zur CD kam von Cyrill Schläpfer, der sich auch als Handörgeler aktiv mit Volksmusik beschäftigt.

 


Tief Archaisches in der Computerwelt

Christine Lauterburg und Cyrill Schläpfer: Vom gelungenen Versuch, Techno und Jodel zu mischen

Jodel und Disco schnell zusammenmixen - fertig ist der trendige «Ethno-Pop». Nein, damit will Cyrill Schläpfer nichts zu tun haben. Der Regisseur des erfolgreichen Volksmusikfilms «Ur-Musig» produzierte in jahrelanger Zusammenarbeit mit der Berner Sängerin Christine Lauterburg die CD «Echo der Zeit». Die Techno-Jodel-Platte ist ein Meilenstein der Schweizer Popmusik.

Cyrill Schläpfer ist wieder einmal völlig erschöpft, mit den Nerven fertig, total gestresst und noch überhaupt nicht glücklich darüber, dass ein ambitioniertes Projekt schliesslich genau in der Form herausgekommen ist, wie er es wollte und gegen verschiedenste Widerstände zum Ende brachte. Denn die Versuchung war immer wieder aufgetaucht, die Jodel-Techno-Platte «Echo der Zeit» mit der Sängerin Christine Lauterburg so herauszugeben, wie sie gerade war.

Das Gegenteil von «Ur-Musig»

«Mit dieser Platte habe ich genau das Gegenteil meiner bisherigen Arbeit gemacht», sagt Cyrill Schläpfer, Inhaber von CSR Records. Auf seinem kleinen Label hat er Platten mit dem über achtzigjährigen Schwyzerörgeler Rees Gwerder herausgegeben, Aufnahmen, die der gelernte Schlagzeuger und Gwerder-Schüler mit einfachsten technischen Mitteln «möglichst authentisch», in Gwerders Heimet gemacht hatte. Daneben beschritt Schläpfer Neuland als Filmer, wurde auf der jahrelangen Suche nach dem Urtümlichen - beispielsweise im Muotatal - fündig und erntete für den Film «Ur-Musig», der noch immer als Sonntagsmatinee im Kino zu sehen ist, neben Kritikerlob auch Zuspruch vom breiten Publikum.
Hat der Mann das Gespür für Trends? Ist jetzt Ethno angesagt? Zeit, den Kuhdreck-Groove zugunsten von Techno-Jodel hinter sich zu lassen? Diesen Vorwurf werden Schläpfer und Lauterburg garantiert zu hören bekommen. Doch flink eingespielt - wie es sich für Hip-Hop-Produktionen eigentlich gehört - hat Schläpfer «Echo der Zeit» nicht. «Schon vor fünf Jahren kontaktierte ich Christine Lauterburg, weil ich mit ihr eine Platte machen wollte», erzählt Schläpfer. «Es hätte eigentlich meine erste Produktion auf CSR Records werden sollen. Aber die Zeit war damals einfach noch nicht reif.» Da musste wieder einmal etwas langsam wachsen.

Studioarbeit im Trio

Jetzt ist Cyrill Schläpfer froh, dass es so lange dauerte. «Jodel ist das Resultat einer langen Entwicklung. Also muss auch das Zusammenfliessen von Jodel und aktueller Popmusik langsam passieren», erklärt Schläpfer einen Teil des Prozesses. Den Bezug zum Aktuellen stellte aber Schläpfer nicht allein her. Dies war vor allem die Aufgabe des Disco-Produzenten Pascal De Sapio. Schläpfer mit seinem Wissen über Volksmusik - und seiner Fülle an entsprechenden Aufnahmen - und der discogeeichte De Sapio produzierten Melodien, rhythmische Grundelemente und Arrangements vor. «Auf diese Basic-Tracks improvisierte Christine Lauterburg im Studio oder schrieb und sang Texte», erklärt Schläpfer. Kaum war Christine wieder weg, arbeiteten Pascal De Sapio und ich an den Aufnahmen weiter.» Mischen, neue Rhythmuselemente hinzufügen, zuspielen von gesammelten Tönen, Jodelpassagen zerschneiden und neu zusammenfügen.

Auch Christine Lauterburg, die stets wusste, was die beiden Produzenten gerade machten, bestätigt, dass «Echo der Zeit» nicht schneller als in den fünf Jahren habe produziert werden können. «Zuerst hatten wir nur vage Vorstellungen und konnten gar nicht sofort loslegen.» Dazu kam, dass Christine Lauterburgs Qualitäten als Jodlerin sich stetig verbesserten. «Im Jodelgesang kommen die Fortschritte nur durch tägliches Üben und Singen. Ziel ist ja, selbstverändlich gerade und schmucklos singen zu können, also förmlich das Herz zu öffnen. Dies zu Disco-Beats im Studio zu tun, war für mich eine ganz neue Herausforderung.» Obwohl die Idee zur Jodel-Techno Platte von Schläpfer kam, musste die Sängerin und Schauspielerin nicht lange überzeugt werden. Sie, die zwar Auftritte liebt, bedauert gleichzeitig, dass das Publikum bei ihren Jodelkonzerten höflich reglos sitzen bleibt.

Volksmusik zur Selbstbedienung

Christine Lauterburg gibt aber zu bedenken, dass die Vermischung der Musikstile nicht einfach gewesen sei: «Im Jodel ist eine starke Sehnsucht und etwas zutiefst Archaisches. Mir war wichtig, dies in die Computerweit hineinzubringen und dem Gefühl den nötigen Raum zu geben. »
Dass «Ethno» als verkaufsträchtige Etikette schon längst auch von der Musikbranche entdeckt ist, weiss Schläpfer und es ärgere ihn. An einer Musiktagung in Österreich fragte einer: Weshalb kommen nicht die Hip-Hopper und bedienen sich endlich der Volksmusik?» Dieser Gedanke verschlug dem Puristen - den Cyrill Schläpfer trotz der neuen Platte geblieben ist - fast die Sprache: «Man bedient sich nicht der Volksmusik, weil man etwas Neues machen will. Auch die Jodel-Techno-Platte muss wie jede Entwicklung langsam wachsen, damit das Resultat stimmen kann.»
Deshalb verschwand Schläpfer am Schluss nochmals für neun Wochen im Studio, bearbeitete die Bänder, bis alles stimmte und er selber so bleich und erschöpft war, wie ihn alle kennen. Die welche ihn kennen und gleichzeitig nicht verstehen wie sich gerade er, als Ur-Musiker ein Freund des Langsamen und Gemächlichen, so an den Rand des physischen und psychischen Zusammenbruchs tüfteln kann. Er ist ein Fan und Perfektionist. Der halbe Weg ist für Schläpfer uninteressant, wenn ihn der ganze auch in den Ruin treiben mag.

Keine Playbackshows

Denn «Echo der Zeit» ist selbstredlich eine sehr teure Produktion. Und obwohl die Radios auf den neuen Musikmix gut reagieren und das Volkslied «Anneli» im neuen Sound häufig spielen, zeichnet sich noch lange kein Silberstreifen am Horizont ab. Wie mit einem Hitparadenstürmer Geld gemacht werden könnte, führt der flinke Aargauer DJ Bobo vor: Playbackshows in TV und Vergnügungstempeln. Christine Lauterburg winkt ab: «Playbacks mache ich nicht. Aber selbstverständlich überlege ich mir, wie ich mit meiner neuen Tanzmusik vors Publikum treten könnte.» Doch auch da müssen die Konzepte erst wachsen.

Echo der Zeit - ein Meilenstein

Eines vorweg: «Echo der Zeit» ist eine hervorragende, enorm reichhaltige, fast durchgehend tanzbare CD, die zu einem ähnlichen Meilenstein für die Schweizer Popmusik werden konnte wie 1980 Yellos «Solid Pleasure».

Der Versuch, Schweizer Folklore und aktuelle Popmusik zusammenzuführen, wurde bisher kaum einmal ernsthaft unternommen. Im allgemeinen retteten sich die Musiker in die Ironie. Überraschend deshalb, dass «Echo der Zeit» fast rundum überzeugend ausgefallen ist. Das Trio Christine Lauterburg (Jodel, Gesangsimprovisation und Text), Pascal De Sapio (Hip-Hop-Produzent) und Cyrill Schläpfer (Folklorekenner, ldeenlieferant, Handörgeler und Mixer) schuf ein Werk mit Yello-Charakter. Doch wo Yello auf der Suche nach dem Weltsound fündig geworden sind, indem sie der Schweiz den Rücken kehrten, sind Lauterburg/Schläpfer/De Sapio ans Ziel gekommen, weil sie die neuesten Disco-Strömungen und Urchiges geduldig zusammenfliessen liessen.
19 Stücke sind auf der CD «Echo der Zeit», die eins ums andere offenbaren, dass tatsächlich Verschiedenstes miteinander zu tun haben kann, wenn die Künstier - und hier sind die Produzenten selbstverständlich so kreativ wie komponierende Musiker - nicht nur die verschiedenen Musiken verstanden haben, sondern sie auch spüren und merken, wo's nicht mehr geht. Vorzügliche neue Techno-Jodel-Cocktails sind «Anneli», «Tanz Tanz!», «Rot uf Grau» oder «Geissel Drama». Doch wenn die Vorlage zu konkret ist, scheinen die Grenzen erreicht. Beim Volkslied «Stets in Truure» bleiben sich die beiden Musikwelten fremd.
Beim Versuch, Volksmusik zu aktualisieren, hätte Christine Lauterburg als Texterin leicht in die Falle des Sozialkritischen treten können. Glücklicherweise lehnte sie sich im Zweifelsfall eher ans Emotionale oder gar Kitschige und beweist über die ganze CD, dass auch Puritaner aus Jodelkreisen ihre Fortschritte als Sängerin anerkennen müssten.

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