... Wit unter mir lit's Wolkemeer ...

von Susanne Schwager für 'Die Weltwoche' 51/1999

 

Auf der Suche nach dem Schöpfer des legendären Taxi-Songs «Campari Soda»

 

tl_files/csr/images/taxi.jpg Regenzeit, schwarzer Himmel über Zürich-Nord. Viele Treppen steigt man hoch in einem Mietshaus, bis zuoberst. Dominique Grandjean schwebt direkt unter dem Himmel, über den Dächern der Stadt. Dort ist es hell, auch wenn es regnet. Hier wohnt der fünfundfünfzigjährige Psychiater mit seiner dreizehnjährigen Tochter. Nichts deutet darauf hin, dass hier einer der legendären Schweizer Popmusiker lebt. Nur im Schlafzimmer steht, fast verschämt, ein Keyboard.

Zweiundzwanzig Jahre ist es her, seit Dominique Grandjean als Assistenzarzt im Burghölzli gearbeitet hatte. In den Pausen verzog er sich aus der Anstalt zu seinem Jugendfreund Dieter Meier, gleich um die Ecke in eine Abbruchvilla. Allein im Kellerstudio des Hauses, tüftelte Grandjean an seinen Songs. Eines Nachts sei «Campari Soda» entstanden: «Es war einfach da. Es flog mir zu, irgendwie aus dem Nichts. Ich habe es nicht komponiert oder getextet. Es kam raus, und da war es, ich habe nichts mehr daran geändert.»

Von da an hat das Lied seinen Weg allein gemacht, wie alle echten Hits. Dieter Meier, Gründer der später weltberühmten Yello, der als Junior mit Grandjean Golf-Meisterschaften bestritt, bezeichnet «Campari Soda» als «einen dieser Hits, die immer in der Luft liegen, immer wiederkommen». Dabei wurde nie etwas dafür unternommen, weder Song noch Gruppe wurden vermarktet. Die Gruppe Taxi nahm nur gerade eine Platte auf - «Es isch als gäb's mich nüme me ...» (1977) - und ging wieder auseinander. Jahrzehntelang war die Platte nirgends mehr erhältlich. Das Lied blieb.

«Campari Soda» wurde Volksgut. Für Cyrill Schläpfer war es der Anlass, diesen Sommer den Sampler «Swiss Kult Hits» herauszubringen. Und auch Stephan Eicher gelüstet auf seiner CD «Louanges» nach «Campari Soda». «Das ist überhaupt kein Zufall. Das liegt im Wesen dieses Songs. Man wird ihn auch in fünfzig Jahren noch spielen», sagt Dieter Meier.

«Kennen Sie das Rilke-Gedicht vom gefangenen Panter? 'Sein Blick ist vom Vorübergehen der Stäbe / so müd geworden, dass er nichts mehr hält. / ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe / und hinter tausend Stäben keine Welt.'» Dominique Grandjean zitiert mühelos die Zeilen. Wahrscheinlich habe ihm dieses Gedicht im Hinterkopf geklungen, als er die Song-Zeilen textete: «Ich nimme no'n Campari Soda / Wit unter mir lit's Wolkemeer / De Ventilator summet lisli / Es isch als gäb's mich nüme me ...»

 

Lästige Vielfalt

Alles an Grandjean scheint zurückhaltend, leicht, licht: eine Gestalt im dezenten Seidenhemd, die hellen Augen mit freundlichem Blick. Auch «Campari Soda» ist leicht, ätherisch, durchgeistigt, scheint aus dem Nebel aufzutauchen, verweilt eine kurze Weile, ohne zu landen, libellenhaft, löst sich im Äther auf. Seine durchscheinende, heitere Form hat Tiefe ohne Bässe, erinnert an ein japanisches Haiku. «Wahrscheinlich war es ein Moment grosser Ruhe, als das Lied entstand», sagt Grandjean.

«Man könnte sagen, die Rockmusik beziehungsweise deren afrikanische Wurzeln gaben unseren Körpern eien Seele, Gott sei Dank. Man kann sich aber aus diesen Körpern auch wieder wienerwalzend wegwierbeln ins Land der Träume. Dazu muss Musik fliegen können, und dazu braucht sie Raum. Das heute omnipräsente metrische Raster von Bass und Schlagzeug zerteilt jedoch die Räume. «Campari Soda» kommt ohne sie aus. Vielleicht könnte man sagen, dass der Song ein wenig fliegen kann.»

Grandjean war ein Multitalent. Heute würde man ihn wohl als «Hochbegabten» fördern. In seiner Jugend war ihm seine Vielfältigkeit vor allem eine Last. «Ich machte alles, konnte alles und nichts wirklich. ich hatte kaum Musikstunden, spielte vier Instrumente. ich war ein 'Bricoleur'», ein Tüftler. Am Anfang sei das Wort gewesen, die Bibel, die deutsche Reformation, das deutsche Lied und Bob Dylan. Er habe in der Zeit viele Gedichte geschrieben.

Die Zürichberger Mietwohnung der Grandjean - der Vater war ETH-Professor, die Mutter eine ebenso begnadete wie exzentrische Kunstförderin - war eine Art Kulturzentrum. «Bei den Grandjeans habe ich den ersten Picasso meines Lebens gesehen», erinnert sich Dieter Meier. Grandjean spielte so oft auf dem Flügel, bis es der Mutter verleidete. Entweder nehme er sofort Klavierstunden, oder der Flügel komme auf den Estrich. «Worauf ich im Estrich weitergespielt habe. ich war immer eigensinnig.»

Aus Grandjeans Tüfteleien in Meiers Keller wurde die Ad-hoc-Band Taxi mit Martin Walder, Hairi und Röbel Vogel. «Ich wollte die Lieder ja mal richtig hören.» und weil er zufrieden war mit dem, was er hörte, gründete Grandjean 1977 zusammen mit Ronnie Amsler und Martin Walder die Gruppe Hertz, deren Gastsänger Dieter Meier von den Assholes war. Hertz, das waren gestandene Männer, alle weit über dreissig, das war laut der Presse die «erste New-Wave-Band der Schweiz». Unbestritten war Hertz anders als alle anderen.

Während man sich in die Zeit politisch-revolutionär oder gefühlvoll-romantisch-sinnlich gab, stand Hertz wie eine ungerührte Gruppe von Bestattungsbeamten mit Keyboard, Bass, Schlagzeug und Gitarre auf der Bühne. Sie erschienen in Hasenkostümen oder Kartoffelsäcken, besangen die Personalien von Bundesrat Willi Ritschard, jodelten vom «Rhabarber im Gemüsebeet, der sich im Winde wiegt, gegen Abend, wenn der Kater die Katze liebt», und beschworen monoton die «Grünzone am Rand unserer Stadt».

 

Wie zu Schuberts Zeiten

Dem Publikum blieb die Spucke weg. Während der Konzerte in den brechend vollen Lokalen herrschte andächtige Ruhe, bevor der Applaus losbrach. Die Hertz-Magie packte die Leute, es wurde kaum getanzt. Man lauschte, sang vielleicht mit, aber nicht wie an den Festivals, die nach Woodstock auch im Schweizer Sommer aufblühten, schon eher wie in einer Messe. Der Schamane dieser hypnotisierenden Musik war Grandjean, der fast alle Songs textete und arrangierte.

«Ich wollte die deutsche Sprache wieder mit der Musik zusammenbringen, so wie sie ursprünglich mal war, zu Schuberts Zeiten oder in der kirchlichen Musik. Der Text sollte so wichtig sein wie die Musik, ein elmentarer Teil des Liedes. ich wollte etwas in Bewegung bringen, nicht nur im Körper, auch im Geist. Guten alten europäischen Kulturgeist in die Popmusik einbringen.» Das Publikum liess sich begeistern, die unverfrorene Hertz wurde zu einer «geschichte-machenden Live-Band» (Kritiker Benni Vigne 1983).

Hertz löste sich 1984 auf. Die Zeiten änderten, die Prioritäten verschoben sich. Dominique Grandjean eröffnete eine Praxis als Psychiater und wurde Vater. er trauert der Vergangenheit nicht nach, liebt seinen Beruf, sieht ihn als Glücksfall. Die Kunst habe seine Arbeit befruchtet. «Die Kunst lehrt einen Offenheit, und Offenheit kann ich nirgends so gut gebrauchen wie in meinem Beruf. Meine Zeit als Musiker hat mich gelehrt, von theorien und Ideologien frei zu bleiben und Ecken und Kanten im Leben als Rhythmuswechsel zu begreifen, als Lichter, die einen wach halten.»

Und um ihn der Himmel von Zürich-Nord, in dem ein Flugzeug verschwindet.

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