Eine poetische Reise ins Landesinnere

von Mario Schnell für 'Bieler Tagblatt' 12. August 1993

 

Zu einem beglückenden Ereignis wurde am Filmfestival von Locarno die Uraufführung des Musikfilms ''Ur-Musik'' von Cyrill Schläpfer. In Bildern von überwältigender Schönheit tastet sich der Film an urtümliche Schweizer Volksmusik heran, wie sie in der Innerschweiz und dem Appenzell gespielt wird.

Dieser Film ist mit Respekt den traditionellen Appenzeller Musikern, den querstehenden und musikalischen Grinden aus dem Muotatal und den naturverbundenen singenden Berglern der Urschweiz gewidmet”, heisst es im Vorspann zu der fast zweistündigen musikalischen Reise zu den Wurzeln der Schweizer Volksmusik. Respekt verdienen nicht nur diese Musiker, Respekt verdient auch das ganze Filmteam, das hinter diesem eindrücklichen Projekt steht: Ohne Liebe zur Musik, den Menschen und den Landschaften wäre ein solcher Film gar nicht machbar gewesen.

 

Audiovisuelle Traumreise

Gefühlsmässig muss sich denn auch packen lassen, wer von dieser musikalischen Reise profitieren will. Während vier Jahren haben Cyrill Schläpfer und sein Team in archaischen Berglandschaften Bilder und Töne gesucht; Bergbauern bei der Arbeit und beim Musizieren gefilmt, Naturtöne und Umgebungsgeräusche gespeichert. Der Film verlässt sich dann ausschliesslich auf die Musik und auf die Bilder, die in einer faszinierenden Wechselwirkung den Reiz dieser audiovisuellen Traumreise ausmachen. Es gibt keinen Begleitkommentar und praktisch keine Dialoge. Das Publikum soll einzig über die Montage von Bild und Ton emotional gepackt werden.

Ein Konzept, das durchaus auch dem videoclip-verdorbenen Publikum entgegenkommen dürfte. Ansonsten aber hat ''Ur-Musig” mit der Clip-Ästhetik gar nichts gemeinsam. Die Kamera lässt den Zuschauern Zeit: Lange verweilt sie auf den Gesichtern der Musikanten, beobachtet die klumpigen Hände bei der Arbeit ebenso wie beim virtuosen Schwyzerörgelispiel. Die Gesichter sprechen für sich. Die Landschaften sprechen für sich. Und alle zusammen entführen sie die Zuschauer in eine Welt von traumhafter Schönheit, von Fröhlichkeit, Melancholie und Religiosität.

 

Ehrlich und berührend

Es braucht keine erklärenden Worte, um zu begreifen, dass diese Musik tief aus dem Inneren dieser Menschen kommt und genauso in die Berge gehört wie der Dudelsack nach Schottland oder der Punk in die Slums einer Grossstadt. Als Musikfilm ist ”Ur-Musig” ein Meisterwerk. Was er zeigt, ist ”Unplugged-Sound” in Reinkultur. Nur viel ehrlicher und berührender. Unkommerziell eben.

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