Interview von Pirmin Bossard betreffend den Geräuschen und TRUE TONE

März 2007
- du hast das glüüt von geissen und schafen aufgenommen, aber auch die geräusche der ampfschiffahrt und des sees oder die klänge von geisterstädten in mexico: was zieht dich an solchen field-recordings an? was interessiert dich an solchen tönen?

Mich interessieren nur Toene, die eine Art Seele haben und in einem Raum erklingen. Jede Kirchenglocke hat eine Seele oder auch das Rattern eines alten Schilter Trakor-Motors, der sich am Berghang abgerackert hat. Irgend eine beliegige Sekunde Vogelgezwitscher, irgendwann und irgendwo an einem beliebigen Ort aufgenommen, ist einmalig und original - vergleichbar mit einem Blick in das sternenuebersaete Weltall.

Unbeseelt sind anderseits die Haltestellen-Ansagen in den Bussen der Luzerner Verkehsbetriebe VBL (gesampelte Aufnahmen und computer-gesteuert wiedergegeben) das ist der Tod! Im uebrigen sind synthetische Geraeusche belanglos.

- was ist für dich der unterschied von geräuschen und musik? oder machst du keinen unterscheid? was interessiert dich mehr? warum?

Ja, sicher unterscheide ich zwischen Geraeuschen und Musik. Ich betrachte das natuerliche Rauschen in einem schoenen Blaetterwald nicht als Musik, denn kein Musiker waere imstande, je so ein Werk zu komponieren. Aber angenommen, ein Mensch wuerde ueber sehr viele Jahre hinweg, an einem bestimmten Ort, speziell ausgewaehlte Baumsorten mit ganz unterschiedlichen Laubqualitaeten anpflanzen; und macht dann viele viele Jahre spaeter von seinem Baumgarten eine Tonaufnahme, vielleicht wuerde er dies sogar bei spezifischen Windverhaeltnissen taetigen: dann bezeichne ich dies als Musik.

- du hast aus geräuschen von dampfschiffen eine symphonie gemacht: was war dir bei diesem prozess wichtig? wann werden geräusche musik? braucht es dazu bestimmte voraussetzungen?

Genau das ist die entscheidende Frage: wann wird aus Geraeuschen Musik? Dieser Prozess kann sehr lange dauern, oft gelingt es nicht…

Schlussendlich entscheidet einzig und allein der Rezeptor resp. das zuhoerende Publikum. Ich denke, folgende Tatsachen muessen unbedingt erfuellt sein, dass sich Geraeusche  erfolgreich in Musik oder in eine musikalischen Komposition transfusionieren lassen: Der Anfang und das Ende und der Rythmus und die Resonanz.

Beliebige Geraeusche aneinander Reihen, ohne Kadenz und vorallem ohne die dramaturgische Absicht, eine emotionale Stimmung zu kreieren und diese auch innerhalb des Stueckes zu wechseln; nein das betrachte ich nicht als musikalische Komposition.

- was ist der stand bei deinem projekt geisterstädte mexico: was hast du aufgenommen? welche geräusche hört man? was machst du damit?

Die Aufnahmen sind im Kasten und ich habe das endlose Ton-Material auf zwei CD-Laengen editiert:

Teil A: El Dia und Teil B: La Noche.

Ebenfalls abgeschlossen habe ich die Transposition oder die “Interpretation” des geschnittenen Tonmaterials durch den Resonanz-Apparat namens “Espejo” (= Spiegel). Bei dieser Maschine handelt es sich um eine einzigartige Erfindung des Mexikaners Ariel Guzik. Dieser Apparat analysiert und interpretiert Infra- und Ultra-Schallwellen, athmosphaerische und kosmische Radiofrequenzen, aber auch Bioresonnanzen, und transponiert diese anschliessend in unser hoerbares Frequenzspektrums.

Kurz zusammengefasst funktioniert dieser Prozess folgendermassen: Die Frequenzanalyse wird gebuendelt und innerhalb des Frequenzspektrum zwischen 20 Hz 20KHz transponiert. Anschliessend wird die Transposition analog gewandelt, und zwar via elektromagnetischen Transistoren, welche in der Funktion von “Reizern”, die Analyse auf gespannte Pianosaiten uebertragen. Diese widerhallenden Saiten bewirken dann wiederum Luftvibrationen, die wir hoeren koennen. Diese verborgene akustische Wirklichkeit habe ich spaeter synchron der original-naturalistischen Tonspur wieder “angelegt” und teilweise als Entdeckung beigemischt: herausgekommen ist Erstaunliches !

Sobald ich finanziell wieder fluessig bin, werde ich das Ding veroeffentlichen.

- kommt es vor, dass du in mexico das geissenglüüt oder die dampfschiff-klänge anhörst? was geht in dir dann vor?

Ja, das kommt vor. Schoen ist, dass ich mir diese Aufnahmen in Ruhe anhoeren kann (im Gegensatz zu “abhoeren”…). Wenn das Glueuet ertoent wuerde ich am liebsten den Kuehen und Geisli hinter den Ohren kraulen…

- wenn leute mit synthesizern monotone brummgeräusche generieren, mit alten mischpulten feedbacks produzieren oder mit laptops/musikprogrammen allerhand kuriose klänge schichten und schnipseln: ist das für dich eine ähnliche arbeit, wie du sie mit geissen und geisterstädten und dampfschiffen machst?

Ich denke das dies aehnlich ist. Ich kann dies aber nicht beurteilen, denn ich habe noch nie mit jemandem gesprochen, der solche Sachen macht.

- du spielst einerseits schwyzerörgeli in beizen, andererseits bastelst im studio klänge zusammen: was hat das eine mit dem anderen zu tun? wo liegen die unterschiede für dich, im erleben und in der aussage?

Dies sind zwei verschiedene Welten: ein Instrument oder mit den technischen Moeglichkeiten zu spielen. Um ein Instrument zu beherrschen, braucht es unendlich mehr Aufwand und Zeit als ein Geraet zu bedienen. Aber sie ergaenzen sich, diese beiden Taetigkeiten.

Elementar beim Spielen eines Musikinstrumentes - und das Auftreten damit -, ist der unmittelbare Anklang, die von den Mitspielern und vom Publikum her ausgeht und staendig wechselwirkend Einfluss nimmt auf den Spielenden.

Das Spielen von fremdkomponierten Musikstuecken auf “traditionellen/ klasischen” Instrumenten ist immer gleichzeitig auch eine Hommage an das Vorangegangene. Das experimentelle, erfinderische Kreieren am Computer besticht in seiner innovativen Form und ist voellig losgeloest von bestehenden musikalischen Formen und Strukturen.

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