Nachruf Rees Gwerder, Ur-Musiker: Letzter Meister der Stegreifgeneration

von Christian Seiler für 'Weltwoche' vom 08.Januar 1998

 

Rees Gwerder ist tot. Der vielleicht bekannteste Volksmusikant der Schweiz starb in der Nacht auf den vergangenen Sonntag im 87. Lebensjahr. Mit Gwerder verschwindet nicht nur "der letzte Musikant der Stegreifgeneration", wie es sein Schüler und Freund Cyrill Schläpfer ausdrückte; mit Gwerder geht ein archetypischer Sturkopf samt einem ganzen Fundus an traditionellen innerschweizerischen Schwyzerörgeli-Melodien verloren.

Gwerder, des Notenlesens nicht mächtig, speicherte, was er einmal gehört hatte, im Kopf, um es zu gegebener Zeit, also vermutlich auf der kleinen Bühne einer Gastwirtschaft, wo er für die Unterhaltung engagiert war, abzurufen.

Gwerder war, wie es das Gewerbe des Volksmusikanten vorsieht, ein Wirtshausstar. Er sass, die Krumme im Mund, das Glas mit dem gestärkten Kaffee oder dem Beerliwein in Griffweite, auf dem Podium, um den selbstverständlichen Marathon zu absolvieren, den so eine Unterhaltung ihren Verursachern zumutet.

Gwerder wurde in seinem langen Leben zur Symbolfigur, und zwar gleich zweimal. Nachdem er viele Jahre lang vor allem in seiner Innerschweizer Heimat aufgespielt hatte, begann er in den sechziger Jahren im Studio von Walter A. Wettler in Schlieren jährlich eine Schallplatte aufzunehmen. So wurde Gwerder einer grösseren Hörerschaft zuerst zum Begriff, dann vertraut, schliesslich selbstverständlich. Rees Gwerder, das war ein Synonym für das belebte Schwyzerörgeli aus dem Muotatal.

Als sich die Volksmusik in ihre Bestandteile auflöste und an vielen Ecken dem Kitschkommerz zum Opfer fiel, wurde es zwischenzeitlich stiller um Rees Gwerder. Nicht, dass er sich beklagt hätte. Er war ohnehin ausgebucht, und ob er nun in der "Krone" in Arth auftrat oder mit den von Ringiers Gnaden gekrönten "Ländlerkönigen" im Zürcher Hallenstadion, war ihm ehrlich egal.

Dann lief er Cyrill Schläpfer in die Hände. Die Zusammenarbeit der beiden zeitigte ein ideales Resultat. Die CDs "E g'hörige Schnupf" und, später, "Urchig wie duezmal" (mit Ludi Hürlimann und Sity-Domini) zeigen eine pure, nicht nur unverstärkte, sondern in aller akustischen Beschränktheit dynamische und kräftige Volksmusik her, die ein neues, durch Pop- und Weltmusik geprägtes Publikum erreichen konnte. Aus den Lücken der Fröhlichkeit blickte, wenn Rees Gwerder das Schwyzerörgeli zog, der Blues. Diese Sprache wurde plötzlich neu verstanden.

Als 1993 schliesslich Schläpfers bereits legendärer Musikfilm "Ur-Musig" in die Kinos kam, bedeutete dies auch für Rees Gwerder einen letzten Höhepunkt in seiner langen Karriere: Auf der schönen Tonspur zum Film (CSR Records 91512) lässt sich auch leise Abschied nehmen von Rees Gwerder. Auf CD 2, Track 21, hören wir seine müde, gleichwohl unverzagte Stimme, wie er sagt, was er immer gesagt hat und was für ihn selbst nun diese neue, nicht mehr zu Ändernde Bedeutung angenommen hat: "'s isch wie's isch."

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