"Ä g'hörige Schnupf"

von Philipp Fink für 'Schweizer Illustrierte' vom August 1991

 

Der König der Volksmusik wird diese Woche achtzig. Und das Geburtstagsgeschenk hat sich Rees Gwerder gleich selbst gemacht: "Äg'hörige Schnupf" als CD.

Der König der Volksmusik ist ein bescheidener wortkarger Mann. Rees, wie ihn alle nennen, macht um seine Person kein Aufhebens. Trotz seiner zehntausendfach verkauften Platten. Die sind ihm nicht in den Kopf gestiegen, zu denen wurde er sowieso immer überredet. Von sich aus hätte Rees Gwerder keine Aufnahmen gemacht.

„Ich habe schon als kleiner Junge musiziert. Ich spielte heimlich auf dem Schwyzerörgeli meines Vaters die bekannten Melodien nach“, erinnert sich Rees an den Anfang seiner Musikerlaufbahn zurück. „Mein Vater sagte immer: ‚Chasch es sälber lehre, ich has au müesse‘.“

So lernte er selber das Schwyzerörgeli spielen und beherrschte in der Primarschule bereits ein Repertoire von über 100 Tänzen.

Die Volksmusik gehört einfach zu Rees. Das Schwyzerörgeli wurde zu seinem Markenzeichen wie die krumme Brissago, die er höchstens aus dem Mund nimmt, um eine gehörige Portion Schnupftabak in die Nase zu ziehen. Ab und zu gönnt er sich auch eine Tabakpfeife. „Aber graucht muess sy“, ist seine Devise. Während siebzig Jahren spielte Rees an allen nur denkbaren Anlässen auf und veröffentlichte elf Langspielplatten mit der für ihn typischen, urwüchsigen und eigentümlichen Schwyzerörgelimusik. Jetzt, mit achtzig, stellt er zu seinem runden Geburtstag, den er am 30. Juli feiert, seine zwölfte Platte vor: Eine Compact Disc mit dem sinnigen Titel „Ä g'hörige Schnupf“.

Der Saal im „Sternen“ in Arth SZ ist zum Bersten voll. Sogar im Gang stehen die Leute. Alle wollen an Rees‘ Plattentaufe dabeisein. Vor dem Buffet wurde aus vier Bierharassen und zwei Brettern ein Bühne improvisiert. Darauf sitzt der Volksmusik-König im Sennenchutteli mit einer „Krummen“ im Mundwinkel, zu seiner Linken seine langjährigen musikalischen Begleiter Ludi Hürlimann und Peter Ott. Rees Gwerder sieht dem hektischen Treiben im Saal mit unbewegter Miene zu. Vom grellen Scheinwerferlicht des Fernsehens ist er geblendet. Tontechniker hantieren am Mikrofon für die Direktübertragung am lokalen Radiosender. Dann endlich kann es losgehen: Zwei Stunden lang spielt Rees die Musikstücke seiner neuen Platte, feiert bis in die frühen Morgenstunden und nimmt Komplimente zu seiner CD und Gratulationen zum Geburtstag entgegen. Erst um zwei Uhr morgens lässt er sich nach Hause zu seiner Tochter fahren.

Bis letzten Herbst lebte er abgeschieden in seinem Heimetli im Gängigerberg, hoch über dem Zugersee, nur über eine steile Strasse mit vielen Schlaglöchern erreichbar.

„In meinem hohen Alter wird man vergesslich. Da habe ich plötzlich Angst bekommen, weil ich einige Male eine elektrische Herdplatte habe brennen lassen“, erzählt Rees. „Man hört ja oft, dass deswegen ein Haus in Brand gerät.“ Von seiner Vergesslichkeit zeugen auch die kleinen Brandlöcher in seinen Hosen. „Manchmal versorge ich die brennende Tabakpfeife im Hosensack“, nimmt es Rees mit Humor. Seine Kinder machten sich Sorgen um ihn und haben ihm deshalb im Bauernhof in Immensee ein Zimmer eingerichtet. An der frisch getäfelten Wand hängt hinter Glas eine Vergrösserung des Plattenumschlags der neuen Compact Disc.

Von einer Plattenaufnahme wollte der eigensinnige Muotathaler ursprünglich nichts wissen. Doch sein Schüler Cyrill Schläpfer, der in Zürich ein Musikstudio betreibt, konnte ihn dazu überreden.

„Es brauchte drei Anläufe, bis er für eine Platte einwilligte“, erinnert sich Schläpfer an die hartnäckigen Verhandlungen mit dem eigensinnigen Rees. „Als ich ihm sagte, dass wir die Platte in seinem Heimetli aufnehmen könnten, willigte er schliesslich ein.“

Dazu Rees: „Das hat mich wirklich überzeugt. Im Gegensatz zum Studio konnte ich zu Hause soviel rauchen und schnupfen wie ich wollte.“

In drei Anläufen war die Platte aufgezeichnet worden. Vom Ergebnis ist Rees freudig überrascht. „Ich hatte Zweifel, ob der junge Schläpfer das auch wirklich kann“, meint Rees und fährt anerkennend weiter: „Die Aufnahmen sind aber wirklich gut geworden.“

Ob es zum 90. Geburtstag wieder eine Platte gibt? „Ich glaube nicht“, antwortet Rees. „Allerdings habe ich beim fünfunsiebzigsten auch schon gesagt, ‚Viel Spass mit em Rees‘ sei meine letzte Platte.“

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